Antisemitisch und fremdenfeindlich: Die Jugendorganisationen der AfD sind radikaler als die Mutterpartei. Nun sollen sie einen offiziellen Status erhalten. Anfangs wollte Vanessa* „etwas verändern“, vier Monate später „nur noch raus“. Anfangs, das war November 2013, einer der letzten sonnigen Tage im Jahr. Vanessa ist AfD-Mitglied, weil sie das konservative Familienbild der Partei anspricht. Weil sie Gleichaltrige treffen will, gründet sie mit anderen die Junge Alternative (JA) Sachsen, einen Jugendverband der AfD.
Junge Alternative: Der rechte Nachwuchs
Mit einer bundesweiten Social-Media-Kampagne wollen sie und ihre Mitstreiter ein Zeichen setzen gegen Feminismus. An der traditionsreichen Galopprennbahn in Leipzig treffen sich die Jungen Alternativen mit selbstgebastelten Schildern. „Ich bin keine Feministin, weil Hausfrau sein auch ein Beruf ist“ steht auf einem.
Bei späteren Aktionen aber kommen plötzlich Themen auf, mit denen Vanessa nichts zu tun haben will. „Mitte März 2014, als der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime nach Leipzig kam, haben die sich vorgenommen, den fertigzumachen“, erzählt Vanessa. Aiman Mazyek kann den Vorfall bestätigen und erinnert sich an „aufgeregte Gäste mit hochrotem Kopf“, die durch Rufe seine Veranstaltung im Rathaus störten. „Ich bin nicht mitgegangen“, berichtet Vanessa.
Neonazi-Hipster und völkischer Nationalismus
Die JA in Leipzig war eine der ersten Jugendgruppen der AfD. Mittlerweile gibt es sie in jedem Bundesland. Die Verbände aus Hamburg, Bayern und vier anderen Bundesländern sind schon offiziell an die Partei angegliedert. Alle anderen wurden zumindest von den Landesverbänden angeschoben oder erhalten regelmäßig Besuch von diesen. Auf dem Bundesparteitag der Alternative für Deutschland, der am kommenden Wochenende in Bremen stattfindet, will die Junge Alternative von der AfD als offizielle Jugendorganisation anerkannt werden. Die erforderlichen Anträge sind bereits eingereicht.
Schon länger gibt es Berichte über rechtsextreme Einstellungen von Mitgliedern der AfD-Jugendorganisationen. Handelte es sich um ärgerliche Einzelfälle? Dokumente, die ZEIT ONLINE vorliegen, sowie die Geschichte der Aussteigerin Vanessa sprechen eher dafür, dass zumindest in der Jungen Alternative Sachsen solches Gedankengut salonfähig ist.
Schon im Dezember 2013, kurz nach ihrer Gründung, trafen sich einige Mitglieder der Jungen Alternative Sachsen zu ihrer ersten Weihnachtsfeier. In Feierlaune überboten sie sich mit Stammtischparolen. Auch Vanessa war dabei. „Die haben antisemitisches Zeug rausgefeuert, Verschwörungstheorien, da habe ich richtig Schiss bekommen“, erinnert sie sich.
Das nächste Mal kam Vanessa ins Grübeln, als sie beim regelmäßigen Stammtisch der JA Sachsen Felix Koschkar kennenlernt. „Der hatte echt was gegen Ausländer“, erinnert sich Vanessa an Koschkar, der sich damals offen für die Identitäre Bewegung engagierte. Zu Hause recherchiert sie im Netz zu der Organisation, die auch im Fokus des Verfassungsschutzes steht und deren Anhänger von Kennern der rechtsextremen Szene als „Neonazi-Hipster“ bezeichnet werden. Vanessa ist schockiert. „Für die Identitären hat er bei uns auch Werbung gemacht“, erzählt sie. Bei der JA habe das niemanden groß gestört.
Koschkar kann sich nicht mehr erinnern, ob er beim Stammtisch für seine Einstellungen warb. Doch wenn man ihn darauf anspricht, erzählt er von seinen Sympathien für die Identitären. Koschkar blieb, obwohl seine Gesinnung bekannt war, lange weiter im Vorstand der JA Sachsen aktiv, kandidierte sogar im vergangenen Herbst für die AfD für einen Sitz im sächsischen Landtag. Als der Mitteldeutsche Rundfunk die Landesvorsitzende und AfD-Sprecherin Frauke Petry mit der Personalie konfrontierte, zeigte diese sich überrascht, versprach aber ,“die Reihen zu säubern“. Tatsächlich ist Koschkar heute nicht mehr im neu gewählten Vorstand der Jugendorganisation vertreten. Auch sonst hat sich der Kontakt von einst verflüchtigt: Da die Mitglieder ihren Stammtisch mittlerweile nach den Pegida-Demonstrationen in Dresden abhalten, kommt der Leipziger Koschkar nur noch selten mit ihnen Berührung. Er läuft lieber bei Legida mit, erzählt er.
Doch auch die aktuelle Vorsitzende der sächsischen AfD-Jugendorganisation, Franziska Schreiber, ist manchem in der Mutterpartei suspekt. Akkurat frisiert und im grauen Blazer posiert sie auf Facebook. „Könnte aus der Vogue sein“, kommentiert ein anderes JA-Mitglied anerkennend unter ihrem Foto. Auch Petry weiß den seriösen Auftritt der 24-Jährigen zu schätzen. Gemeinsam, das soll sie zur Gründung der JA Sachsen gesagt haben, könne man sich „vom Image einer Partei zorniger alter Männer“ lösen. Vanessa hingegen stößt sich daran, dass die JA-Vorsitzende Schreiber weiter mit Koschkar zusammenarbeiten wollte. „Das sagt eigentlich schon alles.“ Der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell findet gar, der von Schreiber zur Schau gestellte „völkische Nationalismus“ sei zumindest „grenzwertig“. So steht es in Dokumenten, die ZEIT ONLINE vorliegen.
Ein Mitstreiter Pretzells und AfD-Vorstandsmitglied aus Aachen sieht es so: Die sächsische JA-Vorsitzende sei leicht zu provozieren. Ihm gegenüber habe sie einmal eingeräumt, besonders extreme Standpunkte zu vertreten. Er hoffe, dass die JA Sachsen bald zur Vernunft zurückkehre. Diese hätte sich zu voreilig gegründet und sei von Anfang an mit den falschen Leuten besetzt gewesen, schreibt der Mann an Vanessa.
Mit dabei im aktuellen Vorstand ist jetzt zum Beispiel Julien Wiesemann. Er war vorher stellvertretender Landeschef der rechtspopulistischen Anti-Islam-Partei Die Freiheit. „Was ist aus Deutschland geworden“, fragte Wiesemann einmal auf deren Parteitag, „wenn Zuwanderer mittlerweile in Ballungsgebieten ihren Hass auf Deutsche ungehindert ausleben?“
Ebenfalls vertreten ist Sören Oltersdorf. Im April 2014 machte der damalige Dresdner AfD-Kreisvorsitzende von sich reden. Mehrere Medien berichteten von seiner Teilnahme am Europakongress der Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD. Heute ist er Beisitzer im Vorstand der sächsischen Jugendorganisation – „und dadurch aus der Schusslinie“, wie Kerstin Köditz sagt, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linkspartei im sächsischen Landtag. Für sie sei das kein unbekanntes Verfahren. Die Junge Alternative verortet sie klar rechts von der AfD. „Der AfD-Nachwuchs ist bisher durch Statements aufgefallen, die noch weiter gehen und radikaler klingen als das, was die Mutterpartei erzählt.“
Kein exklusiv sächsisches Problem
Im Juni verkündet Vanessa, befremdet von den Äußerungen ihrer Parteikollegen, ihren Austritt aus der Jugendorganisation. Doch ist sie mittlerweile so etwas wie eine Attraktion in der JA. „Endlich mal ein hübsches Mädchen in unserer Partei“, sagen Strategen zu ihr. Genauso schnell wie Vanessas Facebook-Profilbilder machen jetzt Gerüchte über ihren Austritt die Runde. Vanessa lernt in den folgenden Wochen JA-Mitglieder aus allen möglichen Bundesländern kennen, weil sich diese persönlich an sie wenden. Vanessa spielt mit. „Ich wollte wissen, ob die JA in anderen Bundesländern mehr taugt.“
Ihre Hoffnung erfüllt sich nicht. Eher sieht sich Vanessa bestätigt: Die braune Färbung der Jungen Alternative ist kein exklusiv sächsisches Problem. Ein AfDler fragt Vanessa, ob sie sich ihrem eigenen Volk nicht näher fühle als „irgendwelchen Negern“. Sie solle sich mal „mit den unterschiedlichen Menschenrassen und ihren Eigenschaften auseinandersetzen“. So steht es in der Kommunikation der beiden, die ZEIT ONLINE vorliegt.
Vanessa unterhält sich auch mit Lars Steinke, der zwar aus der AfD ausgeschlossen werden sollte, aber weiter im niedersächsischen JA-Vorstand aktiv ist. Er fragt sie, ob sie Jüdin sei.
Wenn alles nach Plan läuft, sollen Ende dieser Woche bundesweit alle JA-Verbände in die Partei AfD integriert werden. Auch die JA Sachsen mit Schreiber, Oltersdorf, Wiesemann und etwa 60 weiteren Mitgliedern. „Mit der offiziellen Angliederung werden diese Leute wieder heimgeholt“, formuliert es die Linke Köditz.
*Name von der Redaktion geändert
Lars Steinke wurde in der Ursprungsfassung fälschlicherweise als Mitglied der Identitären Bewegung bezeichnet. Wir haben das inzwischen korrigiert und bitten es zu entschuldigen.
Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/133829