AfD-Fraktion distanziert sich von Kreistagsmitglied

Quelle: http://www.goettinger-tageblatt.de/Goettingen/Uebersicht/AfD-Fraktion-distanziert-sich-von-Kreistagsmitglied

Die Vorwürfe gegen das designierte AfD-Kreistagsmitglied Philipp Göthel, wiegen schwer: Er soll bis vor kurzem tief in die Neonazi- und Hooligan-Szene Nordhausen verstrickt gewesen sein. Inzwischen hat sich die neue Göttinger AfD-Kreistagsfraktion deswegen von dem parteilosen Göthel distanziert.

Göttingen / Walkenried / Nordhausen. Als „extrem gewalttätig“ und „rechtsextrem“ beschreibt Tim Rosenstock vom Nordhäuser „Bündnis gegen Rechts“ und Mitglied der Linksjugend die Gruppen, deren Mitglied Göthel gewesen sein soll und die, so Rosenstock, „über Jahre für Angst und Schrecken gesorgt“ haben. Göthel sei zunächst in der rechten, gewalttätigen Hooligangruppe „NDH-City“, später bei der „Aktionsgruppe Nordhausen“ aktiv gewesen.

Die „Antifaschistische Aktion Nordhausen“ zählte Göthel 2006 zu den „aktivsten und auffallendsten“ Mitglieder der Nordhäuser Neonaziszene. Göthels Gruppe soll sich selbst als „Autonome Nationalisten“ und „Nationaler Widerstand“ bezeichnet haben.

Überfall auf Bistro

Schon 2004 war der damals 17-jährige Göthel nach Angaben der Polizei Nordhausen an einem Überfall auf ein türkisches Bistro in Nordhausen beteiligt, bei dem nach Informationen aus dem Polizeiprotokoll Göthel und neun Mittäter gegen die Scheiben „urinierten und sich erbrachen“ und mit Bierflaschen und -kisten das Bistro beschädigten. Sie beschimpften das Personal laut Polizei als „Türkenvotze“ und skandierten „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“.

Nach Einschätzungen des thüringischen Innenministeriums von 2010 standen Mitglieder der Gruppe „NDH-City“ in Verbindung zur NPD und zu so genannten rechtsextremen „freien Kräften“. Straftaten, die der Gruppe zugeordnet wurden, waren unter anderem gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch, Volksverhetzung, Verstöße gegen das Waffengesetz oder Beleidigungen. Bis 2010 lagen 90 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Gruppe „NDH-City“ vor, heißt es in einer Antwort des Ministeriums auf Anfrage der Linken im Thüringer Landtag.

Fotos, die dem Tageblatt vorliegen, zeigen Göthel 2012 bei einer Gedenkveranstaltung zur Bombardierung Nordhausens im Zweiten Weltkrieg Schulter an Schulter mit dem Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Kyffhäuserkreises, Patrick Weber. Auf anderen ist er in Kleidung mit einem „NDH-City“-Logo zu sehen.
„Schlechtes Namensgedächtnis“

Der 2012 gegründeten „Aktionsgruppe Nordhausen“ bescheinigte das Innenministeriums 2013, ebenfalls auf Anfrage der Linksfraktion, eine „enge Veflechtung“ mit dem NPD-Kreisverband Nordhausen. Auch hier listete das Ministerium eine Vielzahl an Straftaten auf – etwa gefährliche Körperverletzung, Raub, räuberische Erpressung, Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und Betäubungsmittelgesetz oder sexuelle Nötigung.

Göthel will sich gegenüber dem Tageblatt zu seinen mutmaßlichen Kontakten in die Neonazi-Szene und seinen Aktivitäten dort nicht äußern. Mit Namen aus der Szene konfrontiert, verweist er auf sein „schlechtes Namensgedächtnis“. Gegen einen 2014 auf dem Blog „thueringenrechtsaussen“ erschienen Artikel geht Göthel nach eigenen Angaben derzeit anwaltlich vor. Darin wird ein vermeintlicher Besuch Göthels und weiterer Mitglieder der „Aktionsgruppe Nordhausen“ im August 2014 beim rechtsextremen Verein „Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen auch mit einem Foto dokumentiert. Kommentieren will Göthel „diese bodenlose Frechheit“ der Berichterstattung nicht, da es sich um ein „schwebendes Verfahren“ handelt.

Göthels Ankündigung, sich aus der Szene zurück ziehen zu wollen, bewertet Rosenstock als „scheinheilig“ und „halbherzig“.

Inzwischen lebt Göthel nicht mehr in Nordhausen, er ist in das 20 Kilometer von Nordhausen entfernte Walkenried in Niedersachsen gezogen. Hier hat er als Nicht-Parteimitglied bei der jüngsten Kommunalwahl für die AfD kandidiert und den Einzug sowohl in den Kreistag als auch den Walkenrieder Gemeinderat geschafft. „Familie, Soziales, Bildung“ nennt er seine Themenschwerpunkte. Die AfD habe ihm auch als Nicht-Mitglied den Raum gegeben, sich politisch zu engagieren.

„Bei der Fraktionsbildung nicht berücksichtigt“

Göttingen. Wegen seiner mutmaßlich früheren Aktivitäten sei Göthel in der vergangenen Woche „bei der Fraktionsbildung nicht berücksichtigt und ist kein Mitglied der Kreistagsfraktion geworden“, sagt die Vorsitzende des Göttinger AfD-Kreisverbandes Dana Guth. Nach ihren Angaben hätten der AfD-Spitze Informationen, „die – zumindest für die Vergangenheit – auf eine Nähe Herrn Göthels zum rechten Spektrum hinwiesen“ erst Mitte September, also nach der Kandidatenauswahl und Aufstellungsversammlung, vorgelegen. In anschließenden Gesprächen hätte Göthel versichert, so Guth, niemals Mitglied in rechtsradikalen Parteien gewesen zu sein. Er habe allerdings die Teilnahme an diversen Demonstrationen eingeräumt.

„Aktuell – beziehungsweise in der näheren Vergangenheit – gab es derartige Aktivitäten nach seinen Angaben nicht mehr“, sagt Guth. „Wären diese Informationen von Anfang an bekannt gewesen, hätte die Aufstellung von Herrn Göthel mit Sicherheit nicht stattgefunden.“ Dass Göthels Vergangenheit nicht vorab vom Kreisverband geprüft wurde, begründet Guth mit einem „kurzfristigen und auch überraschenden Vorstandswechsel“ im Juni.

Glaubwürdigkeit verspielt

Für den Osteroder Kreistagsabgeordnete Frank Kosching (Linke), dem Göthels Vergangenheit bereits im September aufgefallen war, kommentiert die ausgebliebene Überprüfung: „Diese Partei dürfte für Leute, die keine harten Nazis sind, ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben“, meint Kosching.

Die „Aktionsgruppe Nordhausen“ und der Verein „Gedächtnisstätte“ stehen auf der weiterhin gültigen Unvereinbarkeitsliste der AfD von 2015. Auf ihr sind Organisationen gelistet, deren Mitglieder nicht in die AfD aufgenommen werden sollen. „Diese Unvereinbarkeit gilt entsprechend auch für Kandidaten, die auf AfD-Listen antreten. Wir wollen nicht, dass Extremisten auf unseren Listen kandidieren“, sagt der AfD-Landessprecher Daniel Biermann.

Mit der Afd unvereinbar

Biermann erläutert die Aufnahme von AfD-Neumitgliedern: „Alle Kreisvorstände sind angewiesen, sich vor Aufnahme eines neuen Mitglieds mit dem Antragsteller im Rahmen eines persönlichen Gesprächs auseinanderzusetzen. Sofern in diesem Zusammenhang extremistische Einstellungen oder Verbindungen in extremistische Kreise erkennbar werden, wird individuell, auch unabhängig von der Unvereinbarkeitsliste, die Person als mit der AfD unvereinbar bewertet und nicht aufgenommen.“

Er betont, dass ein Listenwahlverfahren wie bei der Kommunalwahl schwieriger zu kontrollieren sei. Grundsätzlich könne jeder auf einer Aufstellungsversammlung einer Partei kandidieren und werde womöglich – wie Göthel – auf die Liste gewählt. „Parteiordnungsmaßnahmen greifen dann leider nicht, falls sich herausstellen sollte, dass die Person völlig ungeeignet oder mit den Grundsätzen der Partei unvereinbar ist“, sagt Biermann.